top of page

Die Analekte und der Abacus

winfried-weber


Aus: Winfried W. Weber

Die Purpose-Wirtschaft. Management als Balance zwischen Gewinn und Gemeinwohl,2024, eBook (Amazon Kindle, http://tiny.cc/9eznzz  )

 


Der Unternehmer und Mitbegründer des modernen Bankwesens in Japan, Eiichi Shibusawa (1840-1931), entwickelte nach der Öffnung des Landes im 19. Jahrhundert ein auch heute dort wieder recht populäres Wirtschaftsmodell, bei dem er auf ein japanisches Wort für Kapitalismus verzichtete. In der klassischen konfuzianischen Ethik galt Gewinnstreben und Handel als anstößig. Wenn Unternehmen aber einen Gewinn anstrebten, der jedoch der Öffentlichkeit zu Gute komme, konnte für Shibusawa die Tugendhaftigkeit erhalten bleiben. Er sprach von gapponshugi, einem Begriff, in dem das Medium Geld, Arbeit und Talent eine Einheit bildeten. Er trug dazu bei, dass sich in Teilen der japanischen Wirtschaft eine Philosophie herausbildete, in der die Stakeholder die bedeutendere Rolle einnahmen (siehe auch das Kapitel „Monozukuri“).


Auch wenn, wie überall in Asien, die konfuzianische Ethik und das gapponshugi in Japans Wirtschaftsleben im 20. Jahrhundert zwar eine immer geringere Rolle spielte, wird dieses Modell heute wieder populärer. Die Analekte, also Zitate, die auf die Gespräche von Konfuzius, des Meisters mit seinen Schülern zurückgingen, spielen in Ostasien heute wieder eine größere Rolle (Konfuzius ca. 150 v.Chr.). Ähnlich wie Konfuzius in Ostasien hatten und haben Sinnsprüche und Tugendkataloge zu Führungsfragen in allen Wirtschaftsregionen einen gewissen Einfluss auf das Denken im Management. Man denke hier zum Beispiel an das Handorakel und die Kunst der Weltklugheit von Baltasar Grácian (1647) und die heutige unübersehbare Ratgeberliteratur zur praktischen Philosophie im Management.


So berief sich Takeshi Niinami, früherer CEO der Lebensmittelmarktkette Lawsson auf Shibusawas Buch „The Analects and the Abacus“ (1915) als man nach dem Erdbeben und Tsunami im Jahre 2011 sofort Opfern und Hilfskräften Lebensmittel auslieferte und dabei nicht auf die Kosten achtete (insgesamt ein Verlust von fast 100 Mio $). "Because I had communicated Lawson’s purpose as a company to employees and other stakeholders, even with the financial loss and other burdens they understood and aligned with the mission”. (siehe Jones/Morimoto 2021)


Shibusawas praktische Philosophie basierte auf einer ethischen Grundhaltung und der Tugend des Vertrauens. Zwei einfache Prinzipien seien zu beachten: „Man darf nicht unehrenhaft handeln” und „man darf den eigenen Profit nicht an die erste Stelle setzen“ (Tanaka 2017). Üblicherweise trugen auch im Konfuzianismus staatliche Institutionen dafür Sorge, dass sich das Gemeinwohl entwickeln konnte. Shibusawa war aber der Überzeugung, dass gerade der private Sektor die ebenso wichtige Instanz werden sollte, die Wohlstand und Gemeinwohl schuf. Er war auch der Überzeugung, dass sich in der modernen Gesellschaft “no morality (pursuit of the public interest) without economy (earning of private profits)” entwickeln könne. In einer seiner zahlreichen Reden nach seiner Pensionierung sagte er,


“Learning is not for oneself. Cultivate character and then act. ‘Real learning’ or jitsugaku is applied learning. From 1873, when I was thrust into the business world, until now, I have worked on harmonizing morality and economy. The application of the sage’s teachings is the foundation for these efforts. There are many today who can speak beautifully, but lack the courage to act on these principles and apply them to management.” (Shibusawa 2010)


Shibusawas Managementphilosophie trug auch dazu bei, dass viele japanische Unternehmen langfristige Beziehungen zu Lieferanten und Kunden unterhalten, auch wenn dies nicht offensichtlich dem Unternehmensgewinn zugutekommt. Toyotas Geschäftsmodell hatte diesbezüglich legendäre Praktiken entwickelt. Im Sommer 2007 hatte der Autor im Rahmen eines Forschungsprojekts die Gelegenheit, bei Toyota in Japan dieses Modell aus nächster Nähe kennen zu lernen. Nach einem lokalen Erdbeben am 16. Juli 2007 stand innerhalb kurzer Zeit die gesamte japanische Toyota-Produktion still, da ein kleiner Zulieferer, die vom Erdbeben stark betroffene Firma Riken, keine Kolbenringe mehr herstellten konnte und dadurch der Lean-Production-Prozess gestört war. Was geschah? Hunderte Techniker von Toyota und einige Duzend Zuliefererfirmen halfen Riken innerhalb von drei Tagen, die Produktion außerhalb der zerstörten Hallen wieder zum Laufen zu bringen. Selbst Konkurrenten von Riken halfen beim Wiederaufbau der Produktion. Für Takahiro Nishiguchi ist Toyotas Organisationsmodell nur zu verstehen als ein „sich selbst organisierendes System“ (Nishiguchi 2007).  Alle rigiden Formen von Hersteller-Lieferanten-Beziehungen wären damals nicht in der Lage gewesen, in dieser kurzen Zeit eine in Krisensituationen sehr anfällige Just-in-time-Produktion wieder zum Laufen zu bringen.


Die Tiefe von Geschäftsbeziehungen spielt auch bei B2B-Beziehungen insbesondere bei hochspezialisierten Zulieferern eine große Rolle. Vertrauen entsteht, wenn man sich darauf verlassen kann, dass der Lieferant das Wissen nicht an die Wettbewerber weitergibt. Bei mittelständischen Weltmarktunternehmen hört der Autor immer wieder Geschichten darüber, wie diese dem Druck widerstanden haben, einem Kunden einen Blick auf das Sondermodell einer Maschine zu erlauben, die für einen anderen entwickelt wurde. „Wenn ich sie Ihnen jetzt zeigen würde, hätten Sie bei der nächsten Bestellung kein Vertrauen mehr in uns.“

Comments


bottom of page